Zusammenfassung: Das Europäische Parlament hat mit 95% der Stimmen am 4.Juli eine “Entschließung” verabschiedet, in der es kurzgefasst eine “längere Lebensdauer für Produkte” fordert. Da die Lebensdauer elektronischer Produkte unweigerlich mit der verwendeten Software, deren Anpassbarkeit sowie Reparatur- und Updatepolitiken zusammenhängt, besteht in diesen Forderungen eine Chance, Freie Software über einen Verbraucherschutz-orientierten Diskurs zu fördern: Freie Software als ein Kernstück digitaler Nachhaltigkeit.

Bei einer “Entschließung” des Europäischen Parlaments (EP) handelt es sich um keine verbindlichen Vorgaben, viel mehr um eine Willenserklärung. Dennoch lässt die soeben verabschiedete Entschließung des EP aufhorchen. Denn sie fordert eine längere Lebensdauer von Produkten und stellt dabei klar, dass die Langlebigkeit elektronischer Produkte nicht nur von der Hard- sondern auch von der Software abhängt. Und auch wenn diese Entschließung teilweise noch konkrete Maßnahmen vermissen lässt, hält damit Einzug ins EP, was bereits seit längerem auf der Agenda von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Institutionen und Forschungseinreichtungen steht: dass eine digitale Nachhaltigkeit und die Nachhaltigkeit elektronischer Produkte eine Anpassbarkeit der Software bedingt.
Anpassbarkeit ist eine Grundeigeschaft Freier Software und damit ergibt sich hierin eine Chance, das Thema aufzugreifen und Freie Software auch in einen Verbraucherschutz-orientierten Diskurs einzubringen.

Reparatur und Handwerk

In der Entschließung des EP wird festgehalten:

“dass elektronische Geräte angesichts der Tatsache, dass Software immer schneller obsolet wird, unbedingt anpassbar sein müssen, damit sie auf dem Markt wettbewerbsfähig bleiben;”

sowie

“dass unbedingt die Möglichkeit gewährleistet sein sollte, Produkte von unabhängigen Anbietern reparieren zu lassen, und dass daher beispielsweise technischen Lösungen, Sicherheitsvorkehrungen und Softwarelösungen entgegengewirkt werden sollte, die dazu führen, dass Reparaturen nur von zugelassenen Unternehmen oder Stellen ausgeführt werden können;”

Beide Forderungen sind nicht nur im Sinne der Nachhaltigkeit immens wichtig, sondern auch um Monopolstellungen auf gesunde Weise einen Riegel vorzuschieben. In den letzten Jahren ist leider immer häufiger zu beobachten, wie etablierte Produzenten elektronischer Produkte dazu übergehen, die verbaute Hardware und verwendete Software immer unzugänglicher zu gestalten um Reparaturleistungen oder Anpassungen nur noch bei sich selbst oder mit zertifzierten Vertragspartnern zu ermöglichen. Diese Maßnahmen dienen dazu den Sektor lokaler und handwerklicher Dienstleistungen möglichst zu unterbinden und so eine eigene Monopolstellung zu festigen. Die Gesellschaft leidet hierbei doppelt, sowohl die Verbraucher als auch die lokale Wirtschaft.

Für das Thema Freie Software ist dabei der springende Punkt, dass immer mehr Reparaturleistungen und Anpassungen auch die Anpassung der zum Betrieb verwendeten Software erfordert. Und während erst der verschlossene Code einem Hersteller exakt die hier vom EP angeprangerten monopolartigen Dienstleistungsangebote ermöglicht, unterstützt die Offenheit Freier Software hingegen den lokalen IT- und Reparaturmarkt. Je weiter diese Erkenntnis in den Köpfen der Verbraucherschützer sowie Entscheidungsträger reift, desto mehr Unterstützung werden weitere Forderungen nach der Verwendung offener Standards und Freier Software auf politischer Ebene vermutlich auch in anderen Zusammenhängen erfahren können.

Software-Obsoleszenz

Vielversprechend klingen auch die Forderungen dazu, einer geplanten Software-Obsoleszenz entgegenzutreten. Dazu beleuchtet das EP insbesondere die fragwürdigen Update-Politiken mancher Hersteller, die dazu führen können, dass manch Produkt nach einem Update der Software an Funktionsfähigkeit verliert. Sei es zum Beispiel indem das Produkt danach unerträglich langsam wird oder nicht länger mit anderen Anwendungen kompatibel ist.

Darum fordert das EP:

“[…] die Hersteller auf, klare Informationen darüber bereitzustellen, inwiefern Software-Aktualisierungen und andere Aktualisierungen mit den eingebetteten Betriebssystemen, die den Verbrauchern zur Verfügung gestellt werden, kompatibel sind;”

sowie

“dass bei derartigen Aktualisierungen erläutert werden muss, wie sie sich auf den Betrieb des Geräts auswirken, und dass neue essenzielle Software mit der vorausgehenden Generation der Software kompatibel sein muss;”

und

“dass die Möglichkeit bestehen muss, essenzielle Software-Aktualisierungen rückgängig zu machen,”

Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen fordert das EP:

“die Kommission auf, in Konsultation mit Verbraucherverbänden, Herstellern und anderen Interessenträgern einen Vorschlag für eine EU-weit geltende Definition des Begriffs „geplante Obsoleszenz“ für materielle Güter und Software vorzulegen; fordert die Kommission ferner auf, gemeinsam mit den Marktüberwachungsbehörden die Einrichtung eines unabhängigen Systems zu prüfen, mit dem getestet werden könnte, ob Produkte geplante Obsoleszenz aufweisen; fordert in dieser Hinsicht, dass Hinweisgeber auf rechtlicher Ebene besser geschützt werden und in Bezug auf die Hersteller abschreckende Maßnahmen getroffen werden;”

Nach dem Umweltbundesamt anerkennt mit dieser Entschließung nun auch das Europäische Parlament eine geplante Osoleszenz durch Software.

Wenn es auch leider keine Erwähnung in der Entschließung des EP gefunden hat, ist offensichtlich, dass die Verwendung Freier Software einen möglichen Ausstieg aus geplanter Obsoleszenz bietet. Durch Herstellerunabhängigkeit und der Entkopplung von einer Produktbindung oder anderen DRM-Maßnahmen, kann die Verwendung Freier Software den meisten Probleme duch seine eigenen spezifischen Eigenschaften entgegentreten. Denn Updatefreiheit, Informationsbereitstellung sowie Abwärtskompatibilität sind häufig wesentliche Elemente Freier Software.

Geplante Software-Obsoleszenz und ihre Auswirkungen auf Produktlebenszyklen sind neben den staatlichen Akteuren auch Gegenstand aktueller Diskussionen zivilgesellschaftlicher Organisationen wie dem Runder Tisch Reparatur – unter anderem ein Zusammenschluß von Verbraucherzentralen, Umweltverbänden und Reparatur-Initiativen. Die dort ansässige AG Software Obsoleszenz erarbeitet aktuell ein Papier, dass aller Voraussicht nach noch ein paar Schritte weitergehen wird als die Entschließung des EP und insbesondere auch die Bedeutung offener Technologien hervorheben wird. Wünschenswert wäre die konkrete Forderung nach der Unterstützung offener Standards bei Datenformaten wie auch eine Unterstützung sparsamer Datenformate, die Bereitstellung von offenen Programmierschnittstellen sowie den Einsatz von Freien-Software-Lösungen zur Förderung der Herstellerunabhängigkeit und Nutzerautonomie.

Wichtige Schritte in Richtung einer digitalen Nachhaltigkeit

Die Themen Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit sind Themen die uns seit der Industrialiserung begleiten und fortan begleiten werden. Inzwischen scheint die Zeit gekommen, diese Themen auch in Bezug auf Software zu durchdenken. Und auch wenn die Entschließung des EP keine rechlichen Konsequenzen hat, wird eine Strahlwirkung davon auf verschiedene gesellschaftliche Akteure ausgehen. Um auf den fahrenden Zug aufzuspringen und die Bedeutung Freier Software für dieses Thema hervorzuheben, sollten wir uns als Freie-Software-Community weiter in diesen Diskurs einbringen. Digitale Nachhaltigkeit bietet eine große Chance, die Bedeutung Freier Software in einen Verbraucherschutz-orientierten Diskurs einzubringen und damit neue Allianzen zur Förderung Freier Software zu schmieden.

Des weiteren sollte meines Erachtens nach auch unabhängig von konkreten Produktlebenszyklen die (geplante) Obsoleszenz von Software selbst verstärkt in den Fokus rücken. Verschlossener Code, der zum Beispiel nicht länger weiterentwickelt wird oder dessen Support endet, ist letztendlich die geplante Obsoleszenz eines Software-Programmes. Auch die Verwendung proprietärer Standards sowie DRM-Maßnahmen und eine daraus entstehende fortschreitende Inkompatibilität zu anderer Software führt zu einer Obsoleszenz von Software. Diese und weitere Aspekte der digitalen Nachhaltigkeit sowie der Vorteile Freier Software habe ich für das Umweltbundesamt im Fachgespräch „Nachhaltige Software“ (S.29 ff.) beleuchtet.

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