Vertrag steht: Rot-Rot-Grün in Berlin - CC0 via pixabay
Vertrag steht: Rot-Rot-Grün in Berlin – CC0 via pixabay
Berlin hat seit bald zwei Wochen seinen ersten Rot-Rot-Grünen Koalitionsvertrag. Als Bundeshauptstadt und als ein Motor der deutschen digitalen Wirtschaft kommt dieser Regierung zugleich eine bundesweite Bedeutung zu. Das nun entstandene Werk ist durchaus Freie Software freundlich und fortschrittlich. Obwohl die vielleicht weitreichendste Entscheidung leider keinen Eingang gefunden hat: Eine Gesetzesänderung, die fortan verpflichten würde, von öffentlichen Geldern finanzierte Software unter einer Freien Lizenz zu veröffentlichen. Im folgenden eine Analyse des Vertrages unter dem Blickwinkel der Förderung und Verwendung Freier Software.

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Inhaltsverzeichnis:
Förderung Freier Software
Eigenentwicklung Freier Software
Wirtschaft
Bildung und OER
Wissenschaft und Open Access
Resümee

Teile der aktuellen Koalition hatten sich bereits im Wahlkampf sehr positiv gegenüber Freier Software geäußert. Insbesondere die Linke und die Grünen hatten schon in ihren Wahlprogrammen Maßnahmen zur Förderung Freier Software versprochen und dieses positive Bild auch noch einmal in Wahlprüfsteinen der Koalition Freies Wissen bestätigt.

Nach der Wahl hat die FSFE die künftigen Koalitionäre an ihre Wahlversprechen erinnert und dazu drei konkrete Handlungsempfehlungen geschickt. Jetzt ist der Koalitionsvertrag fertig und tatsächlich spiegeln sich darin auf gewisse Weise zwei von drei dieser Handlungsempfehlungen wider.

Förderung Freier Software

Die Förderung Freier Software wird in der deutschen Politik selten so konkret formuliert wie im aktuellen Berliner Koalitionsvertrag unter “Kultur- und Medienmetropole Berlin”. Dort schreibt sich die Koalition auf die Fahne:

Die Koalition fördert die Verwendung von freier und offener Software (Open Source) sowie von freien Lizenzen in der Berliner Verwaltung und auf deren Angeboten.

Auch wenn die Formulierung wenig konkret verbleibt, kann sie dennoch als fortschrittlich betrachtet werden. Denn andere Regierungsverantwortliche hierzulande fügen leider zu ähnlichen Bekenntnissen meist zusätzliche Verklausulierungen hinzu, wie zum Beispiel “Freie Software sei bei gleicher Qualität zu bevorzugen” oder “die Verwendung Freier Software sollte in Betracht gezogen werden.” Im Berliner Koalitionsvertrag hingegen wurde nun konkret die Förderung und Verwendung Freier Software festgehalten. Das ist hervorragend und an dessen Umsetzung werden wir die Koalition in den nächsten fünf Jahren nicht nur messen sondern auch mit Hilfe zur Seite stehen.

Freie Software fördern - CC0  via pixabay
Freie Software fördern – CC0 via pixabay

Außerdem möchte die Koalition zusammen mit dem IT- Diensleistungszentrum Berlin (ITDZ) die Verwaltungsmodernisierung vorantreiben. Dazu soll ein “Nutzerbeirat” eingerichtet werden, der das ITDZ bei grundsätzlichen Fragen berät. Und

Bei der Einführung und Aktualisierung von IKT wird die Koalition Herstellerunabhängigkeit, Interoperabilität, den weitest möglichen Einsatz von Open-Source-Software, IKT-Barrierefreiheit und ökologische Nachhaltigkeit (Green IT) beachten.

Die angesprochene Verwaltungsmodernisierung Berlins ist ein Mammutprojekt und längst überfällig. Der “weitest mögliche Einsatz von Open-Source-Software” erscheint dabei als ein folgerichtiger Schritt um aus entstandenen Abhängigkeiten zu entfliehen und eine langfristige Anpassbarkeit der Infrastruktur zu gewährleisten. Nur mit Hilfe Freie Software lässt sich die im Vertragstext gewünschte Herstellerunabhängigkeit und Interoperabilität erreichen und damit zugleich eine nachhaltige IT-Strategie verfolgen.

Für eine gelungene Umsetzung empfiehlt es sich, im zu schaffenden “Nutzerbeirat” auch zivilgesellschaftliche Experten mit einzubeziehen.

Eigenentwicklung Freier Software

Berliner Kultureinrichtungen beherbergen ein unschätzbares kulturelles Erbe. Dieser Kulturschatz kann durch Digitalisierung nicht nur geschützt, sondern über das Internet weltweit zugänglich und nachnutzbar gemacht werden. Die Einrichtungen werden verpflichtet, Digitalisate – wo rechtlich möglich – unter Freien Lizenzen als open data zu veröffentlichen. Zur Erprobung innovativer Formate mit digitalen Technologien wird die Koalition einen Innovationsfonds für Projekte der Einrichtungen und der Freien Szene etablieren

CC0 via pixabay
Software frei entwickeln – CC0 via pixabay

Die Digitalisierung von Kulturschätzen und deren Veröffentlichung unter Freien Lizenzen ist innovationsfördernd und fortschrittlich, die Errichtung eines Innovationsfonds ein wichtiger Schritt. Die “Erprobung innovativer Formate mit digitalen Technologien” bietet sich geradezu an für eine Verknüpfung, Eigenentwicklung oder der Anpassung von Freier Software. In wohl keiner anderen Stadt in Deutschland ist die “Freie Szene” derart ausgeprägt, ist es derart leicht Freie Software Entwickler zu finden. Insbesondere weil in Berlin die “Freie Kultur Szene” und die “Freie Software Szene” sehr eng miteinander interagieren oder gar verknüpft sind.

Sollte in diesem Zusammenhang neue Software entwickelt oder in Auftrag gegeben werden, dann wäre deshalb auch die Umsetzung eines der allen drei Parteien gemeinsamen Wahlversprechens wünschenswert: Eigenentwicklungen des Landes Berlin sowie in Auftrag gegebene Software unter einer freien Lizenz veröffentlichen.

Dasselbe gilt in ähnlicher Weise auch für andere Software-Projekte der Koalition:

  • Die Koalition wird ein Online-Portal der Justiz einrichten, in dem alle wichtigen Informationen und Unterlagen kostenlos zur Verfügung gestellt werden und Online-Überweisungen möglich sind.
  • Die Koalition wird eine zentrale Stelle zur Umsetzung der Berliner OpenData-Strategie schaffen und einen jährlichen Wettbewerb zur Förderung von Angeboten und Apps zur Nutzung offener Daten veranstalten.
  • Mit der gemeinsamen Erarbeitung von Berliner Leitlinien für Beteiligung durch Bürger*innen, Politik und Verwaltung stärkt die Koalition die Strukturen und Prozesse der Bürger*innenbeteiligung. Dabei werden insbesondere die Verfahren ausgebaut, die niedrigschwelliger, flexibler und repräsentativer sind. Im Zentrum steht dabei eine Vorhabenplattform (mein.berlin.de), auf der in Zukunft alle planerischen Vorhaben auf Landes- und Bezirksebene frühzeitig mit einer Projektbeschreibung und alle öffentlichen Beteiligungsverfahren veröffentlicht werden.
  • Die Koalition fördert freie und digitale Materialien für den schulischen und außerschulischen Unterricht und die frühkindliche Bildung. Sie wird eine barrierefrei zugängliche Plattform zur Erarbeitung, Verbreitung und Qualitätskontrolle freier Lehr- und Lernmaterialien (OER) entwickeln.

Abgesehen von dem geplanten Wettbewerb geht es bei all diesen Vorhaben um Eigenentwicklungen des Landes Berlin oder um in Auftrag gegebene Software unter Verwendung öffentlicher Gelder. Die FSFE fordert diese von der öffentlichen Hand finanzierte Software als Freie Software der Öffentlichkeit zurück zu geben.

Wirtschaft

Digitale Wirtschaft - CC-BY 3.0 von Peter Bennets
Digitalagentur für Wirtschaft? – CC-BY 3.0 von Peter Bennets

Die Koalition wird die Verwaltung modernisieren und hier den Einsatz moderner IT ausbauen. Der digitale Zugang zur Verwaltung für die Bürger*innen wird hergestellt. Es wird eine Digitalagentur zur Verbesserung der digitalen Wirtschaft eingerichtet.

[…] werden eine Digitalisierungsstrategie auf Basis der Maßgaben von Nachhaltigkeit, Teilhabe und wirtschaftlicher Entwicklung erarbeitet und ein Bürgerdialog „Mein digitales Berlin“ durchgeführt sowie ein „Koordinator Digitales Berlin“ zur Koordination der verschiedenen digitalisierungsrelevanten politischen Aktivitäten mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteuren eingesetzt.

Mit einer “Digitalagentur” und einem „Koordinator Digitales Berlin“ wird die Koalition zwei neue Institutionen schaffen um ihre Digitalisierungsstrategie in Angriff zu nehmen. In ihrem Wirken wird sich unter anderem zeigen, ob wir die Versprechungen der Koalition beim Wort nehmen dürfen und tatsächlich eine Förderung Freier Software verfolgt werden wird. Die vorgesehene Einbindung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Akteure lässt zumindest hoffen, dass die Entwicklung zur Offenheit ernst gemeint ist.

Bildung und OER

Die Koalition fördert freie und digitale Materialien für den schulischen und außerschulischen Unterricht und die frühkindliche Bildung. Sie wird eine barrierefrei zugängliche Plattform zur Erarbeitung, Verbreitung und Qualitätskontrolle freier Lehr- und Lernmaterialien (OER) entwickeln.

Es war bereits im Wahlkampf ersichtlich, dass inzwischen alle Parteien Berlins die Bedeutung von OER für die zukünftige Bildung erkannt haben. Die jetzige Koalition schreibt deshalb nicht nur eine Förderung freier Bildungsmaterialien in ihr Programm sondern auch die Entwicklung einer unterstützenden Plattform. Dabei wäre es wünschenswert wenn die Koalition bestmöglich die Handlungsempfehlungen des Bündnis Freie Bildung in betracht zieht. Daraus unter anderem:

3. Bei der Wahl von Software, die für Bildungszwecke eingesetzt wird, ist darauf zu achten, dass diese offen/frei lizenziert ist […]. Ausnahmen von dieser zu etablierenden Praxis müssen begründet werden.
[…]
5. Projekte zur Verbesserung und Weiterentwicklung bestehender Open-Source-Bildungssoftware werden gefördert und in öffentlichen Ausschreibungen werden offene Formate und Open-Source-Softwarelösungen bevorzugt berücksichtigt.

Wissenschaft und Open Access

Die Koalition wird die Open Access Strategie umsetzen und ein Zukunftsprogramm Digitalisierung der Wissenschaft auflegen. Dabei sollen Open-Access-Publikationen, aber auch digitale Lehr- und Lernformate sowie offene Forschungsdaten etwa durch Regelungen in den Hochschulverträgen unterstützt werden.

Berliner Wissenschaft bald Open Access? - CC-BY-SA 3.0 von OTFW
Berliner Wissenschaft bald Open Access? – CC-BY-SA 3.0 von OTFW

Die Ausformulierung und Verwirklichung einer konkreten Open Access Strategie ist 13 Jahre nach der Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen längst überfällig. Damit nähert sich die Berliner Regierung auch der EU an, deren Mitgliedstaaten Mitte des Jahres beschlossen haben, ab 2020 alle Publikationen öffentlich finanzierter Forschung unter Open Access zu veröffentlichen.

Bei der Strategie sollte von Anfang an auch die langfristige Offenheit und der universale Zugang der wissenschaftlichen Ergebnisse bedacht werden. Wichtige Schritte dahin wären die Bindung öffentlicher Fördergelder an umfassende Veröffentlichungen unter Freien Lizenzen. Dahinter steckt der Gedanke, dass nicht länger nur die finale Publikation Open Access sein soll, sondern vielmehr auch die dahin führenden Schritte, zum Beispiel Datenerfassungen und Softwareentwicklungen.

Eine langfristige IT-Struktur geschieht dabei durch den Betrieb von Open Access repositories unter Freier Software und Offenen Standards um die gewonnen Erkenntnisse möglichst langfristig zu archivieren und universal zugänglich zu machen.

Resümee

Insbesondere die Linken und die Grünen haben sich in ihren Parteiprogrammen und während des Wahlkampfes für die Förderung und Verwendung Freier Software stark gemacht. Der aktuelle Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün verdeutlicht das. Darin finden sich auch zwei der drei Handlungsempfehlungen der FSFE in Teilen verwirklicht. Zusammenfassend ein Abgleich:

Eigenentwicklungen des Landes Berlin sowie in Auftrag gegebene Software unter einer freien Lizenz veröffentlichen.

Diese Forderung der FSFE findet sich leider nicht im Koalitionsvertrag wider. Rot-Rot-Grün verpasst hier bisher die Chance, auf Basis ihrer gemeinsamen Wahlprogramme eine allgemein gültiges Rahmenwerk zu schaffen in dem mit öffentlichen Geldern finanzierte Software als Freie Software auch wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird. Das würde den Standort Berlin unter Umständen gerade auch für die digitale Wirtschaft noch attraktiver machen. Vorbild könnte hier das Weiße Haus sein, das künftig 20% der eigenentwickelten Software unter Freier Lizenz stellen möchte oder Russland, das kürzlich ein Gesetz erlassen hat, um Freie Software in der öffentlichen Verwaltung zu bevorzugen.

Abseits vom allgemeinen Rahmenwerk verpasst die Koalition bisher leider auch in ihren konkreten Planungen eine Bindung öffentlicher Gelder an die Entwicklung Freier Software zu knüpfen. Ob Innovationsfonds oder die geplanten Portale und Plattformen, leider gibt es bisher keinerlei Hinweise auf die Verknüpfung derselben an Freie Software. Es bleibt zu hoffen, dass dies in der konkreten Ausgestaltung noch Form annehmen wird.

Entwicklung einer langfristigen Strategie um die Verwaltung Berlins auf Freie Software umzustellen.

Bei der Umstellung der Verwaltung auf Freie Software hat sich die Koalition tatsächlich ein Herz gefasst und formuliert “Bei der Einführung und Aktualisierung von IKT wird die Koalition Herstellerunabhängigkeit, Interoperabilität, den weitest möglichen Einsatz von Open-Source-Software, […] beachten.” Insbesondere die Regierungsbeteiligung der Grünen lässt hier hoffen, da diese sich bereits in der Vergangenheit für eine Linux-Migration stark gemacht haben.

Die Förderung des Einsatzes von Open Educational Resources (OER) und Freier Software in den öffentlichen Bildungseinrichtungen Berlins.

Die Bedeutung von OER ist in der Koalition angekommen. Eine “barrierefrei zugängliche Plattform zur Erarbeitung, Verbreitung und Qualitätskontrolle freier Lehr- und Lernmaterialien (OER)” ist ein wichtiger Schritt zur weiteren Verbreitung und Verwendung von OER im schulischen Alltag. Wie das Bündnis Freie Bildung treffend formuliert, ist dabei “die Verwendung freier und offener Technologien, namentlich Offener Standards und Freier Software bei Erstellung und Verbreitung digitaler OER als unabdingbar”.

Es bleibt deshalb zu hoffen, dass die zu erschaffende Plattform Freie Software verwendet oder als Freie Software entwickelt wird.