Jetzt wissen wir es! Was sich auf einmal insgeheim jeder schon immer gedacht hat, aber von den selben Leuten zugleich als eine paranoide Verschwörungstheorie abgekanzelt wurde, ist wahr: Geheimdienste aller Welt [1], allen voran augenscheinlich die Amerikaner, spionieren Völker, Gesellschaften, gar ganze Kontinente aus und das eigene Volk dazu.
Die “Legimitation” dazu verleihen sie sich selbst und wiederholen wie ein Mantra: Sicherheit ist ein Supergrundrecht, quasi das Ass, der Trumpf, der Joker. Im Namen der Sicherheit, so das credo, ist alles erlaubt. Alle anderen Grundrechten haben sich unter dieses Supergrundrecht unterzuordnen. Doch genügt das Verlangen nach Sicherheit wirklich der Legitimität einer Totalüberwachung a la Prison Prism?

In der Sicherheit steckt ein Paradox wenn die Sicherheit des Einen scheinbar die Unsicherheit des Anderen bedingt: Baut der Staat seine  Sicherheit auf der Überwachung seiner Bürger, leben seine Bürger in der Unsicherheit. Denn Totale Überwachung ermöglicht auch totale Kontrolle. Diese Kontrolle zentral in den Händen des Staates, der zugleich der Gewaltanwedung legitimiert ist.
Im 20.Jahrhundert haben wir die Folgen von Überwachungsstaaten in der Realpolitik gesehen. Bespitzelung, Hinrichtung, Massenvernichtung und Staat-gegen-Gesellschaft waren die Folge.
Baut der Staat also seine  Sicherheit auf der Überwachung seiner Bürger – wer gibt mir dann die Sicherheit meiner freien Meinung und Entfaltung, ja eines freien Lebens, in diesem Überwachungstaat?

Geheimdienste, die jetzt zur Aufgabe haben, das eigene Volk auszuspähen bedrohen die Freie Gesellschaft und unsere Meinungsfreiheit, schließlich den demokratischen Staat. Denn Meinungs- und Entfaltungsfreiheit sind das  Grundgerüst des demokratischen Staates. Systematische Überwachung wie das “Prism” der NSA, bei dem möglichst die gesamte globale Kommunikation erfasst, gespeichert und gescannt wird, wird so in seiner ungewollten Konsequenz zu einem Frontalangriff auf die Demokratie.
Heutzutage leben wir noch ein einer Demokratie und müssen beklagen, dass Geheimdienste auf eine maximal intransparente Weise (“geheim”) weder demokratisch legitimiert sind, noch die Regeln unseres Rechtsstaats befolgen. Immerhin dürfen wir noch Klagen. In Zukunft könnte das vielleicht gar nicht mehr möglich sein. Wenn die Totalüberwachung der globalen Kommunikation vielleicht zur Grundlage des gefährlichsten Regime dient, gegen das die Menschheit je zu kämpfen hatte. Denn mit dem Aufbau der Totalüberwachung aller digitalen Kommunikation wird ein Monster erschaffen, dass – einmal entfesselt – in der Lage sein wird uns alle zu unterdrücken und uns in die dunkelsten Abgründe aller dystopischen Überwachungsstaatfantasien führen kann. Das es soweit kommt muss nicht sein – doch die Gefahr besteht. Um wachsam zu bleiben möchte ich die aktuelle Entwicklung ein wenig nachskizzieren.

fehlende Legitimität

Gehen wir einmal dahin zurück, was am Anfang aller politischen Handlung innerhalb einer rechtsstaatlichen Demokratie steht: die Legitimität. In einem Rechtsstaat ergibt sich diese Legitimität eigentlichdurch Gesetz. Doch was für ein Recht und Gesetz ist das denn genau? Von welchen richterlichen Beschlüssen reden wir eigentlich im Fall der Überwachung? Warum kannte die bisher eigentlich keiner? Ganz einfach, weil die Beschlüsse und Gesetze keiner zur Gesicht bekommt! Die beispielsweise in den USA für das Prism-Programm zuständige Richter tagen im “Gericht zur Überwachung der Auslandsgeheimdienste”. Und

Die Richter, die an diesem Geheimgericht arbeiten, kommen in einem speziell gesicherten Saal zusammen. Sie tagen nicht-öffentlich und sie fällen Entscheidungen von nationaler Tragweite. Erst durch ihre Entschlüsse sind Späh-Programme wie PRISM möglich geworden.

Tagesschau, 16.07.2013

Wo ist denn bitte hier das Recht und Gesetz eines Bürgers und die Legitimität eines Rechtsstaats, wenn es sich bei umfassenden, freiheitsbeschneidenden Beschlüssen um die Beschlüsse von Geheimgerichten handelt? Ein Richterspruch ist nichts wert, wenn er hinter verschlossenen Türen gefällt wird. Es ist absurd, wenn ein für schuldig Befundener weder die Grundlage der Entscheidung, geschweige denn die Begründung kennt.
Legitimität und Akzeptanz von Gesetzen ergeben sich eigentlich aus einem transparenten, nachvollziehbaren Entscheidungsprozess und einer anschließenden öffentlichen Bekanntmachung dieser Entscheidung. Gesetze finden Akzeptanz, weil wir dem Parlament bei der Entscheidungsfindung – zumindest teilweise – zuschauen können. Das Parlament wiederum akzeptiert die Schelte des Bundesverfassungsgerichts, weil es ihm bei der Entscheidungsfindung – zumindest teilweise – zuschauen kann. Die Bedingung eines fairen Gesetzgebungsprozesses ist es, öffentlich zu sein. Und nur wenn ich ein Gesetz kenne, bin ich überhaupt in der Lage, es einzuhalten.

Unschärfe des Rasters

Wie kann man eigentlich all dieser Daten Herr werden? Wie finde ich den oder die Richtige unter 6 Milliarden Menschen? Oder kann ich dabei vielleicht auch den Falschen erwischen? Wer einer solchen Datenmenge auch nur Ansatzweise hilfreiche Informationen entlocken möchte, der benötigt dazu Filter, Algorithmen, Muster, Vorurteile, Rasterfahndung und und und…
Alles Methoden um einer überwältigenden Flut von Daten dadurch gerecht zu werden, dass man sie möglichst vereinfacht. Das treibt man so lange, bis die Welt endlich mal wieder Schwarz-Weiß wird. Leider ist die Welt jedoch viel komplexer und jeder Filter muss entweder so fein und genau sein, dass er nichts findet – oder er findet zuviel und bedroht damit das Leben aller Bürger durch die Gefahr zufällig ins Raster zu fallen. Zehntausende unschuldige werden so zu – im Fachjargon ausgedrückt – “falsch positiven Ergebnissen”. Und es kann dabei jeden erwischen. Wer es nicht glaubt, der lese die Geschichte von Michael Blume – ein “Vorzeigebürger” der in die Fänge des Verfassungsschutz gerät weil er eine Muslimin heiratet und für den interreligiösen Dialog eintritt.

Wir müssen also in ständiger Furcht leben überwacht zu werden und eines Tages eventuell in das Raster zu fallen – selbst wenn wir uns offensichtlich nichts zu schulden kommen haben lassen. Dieses Gefühl erzeugt Verhaltensänderungen in der Gesellschaft. Wir verhalten uns anders wenn wir wissen, dass wir überwacht werden. Wer in einer Prüfung schummeln möchte verhält sich anders, als wenn er privat zu Hause die gleichen Informationen nachlesen würde.

“Aber ich hab doch nichts zu verbergen”

Dieses “Argument” halte ich in in den meisten Fällen für gelogen, schließlich möchte jeder von uns mal ein bißchen Schummeln. Beim Wechselgeld, beim Lebensabschnittspartner oder auch mal beim Falschparken  … Und selbst wenn nicht, fehlt dem Argument die Weitsicht. Nur weil ich heute nichts zu verbergen habe – wer weiß ob ich das nicht mal in Zukunft vielleicht habe? Vielleicht wird es sogar nötig sein in Zukunft etwas zu verbergen?
Was aber, wenn uns die Möglichkeit dazu heute bereits genommen wird durch eine Totalüberwachung der Kommunikation wie es das “Prism”-Programm darstellt? Dann, wenn der Staat scheitert, die Demokratie weicht und sich ein Diktator aufschwingt unsere aller Kommunikation zu überwachen?

Gefahr für die Demokratie

Obwohl die Totalüberwachung schon heute unrechtmäßig und demokratiefeindlich ist, reden sich immer noch die meisten alles Gute ein:

“Schließlich leben wir in einer Demokratie”
“Das beruft sich doch alles auf Recht und Gesetz”
“Wir sind ein Rechtsstaat”

und so weiter. Zugegeben, das mag heutzutage so erscheinen – doch was wenn dem nicht mehr so ist? Geht das überhaupt?

Heutzutage sind die meisten Deutschen in einer Demokratie geboren und davon wiederum die meisten denken das dies ein Naturgesetz sei. Dem ist leider nicht so. Gerade die Deutschen sollten es gelernt haben, dass eine Demokratie von Natur aus brüchig bleibt und immer wieder belebt werden muss. Wir leben erst seit etwas mehr als 60 Jahren in einer Demokratie – nach etlichen Fehlversuchen und Jahrtausenden in denen die Menschen in allen möglichen, meist niederträchtigen, Gesellschaftsformen leben mussten.
Einmal in der Demokratie angekommen ist das jedoch noch lange kein Garant für die Ewigkeit. Auch aus Demokratien können wieder Diktaturen entstehen: In der Weimarer Republik ging die NSDAP aus verfassungsgemäßen, demokratischen Wahlen hervor. Mit zunehmenden Wahlerfolgen wurden sie eine demokratisch legitimierte Partei bis hin zur Regierungspartei. Fortan wurde mit Hilfe der Macht und unter Erlassung von Ermächtigungsgesetzen systematisch das zuvor demokratische System ausgehöhlt. Ein Prozedur, die einige Jahre dauerte aber unumkehrbar in der Diktatur endete. Am Ende musste dazu nicht einmal die demokratische Verfassung außer Kraft gesetzt werden.
Nun stelle man sich mal vor, Hitlers Staatsapparat wäre damals ein ähnliches Instrument wie Prism zur Totalüberwachung der globalen Kommunikation zur Verfügung gestanden – vom Geheimdienst einer bis vor kurzem noch demokratischen Gesellschaft … Das wäre dann eine  Diktatur mit der Totalüberwachung aller Kommunikation in den Händen. Von Jetzt, in Zukunft und aus der Vergangenheit. Kein Jude wäre entkommen – niemand wäre entkommen. Systematisch hätte die NSDAP nicht nur Juden verfolgen können sondern auch alle die mit ihnen regelmäßig oder unregelmäßigen Kontakt pflegen oder pflegten – quasi ihrem Freundeskreis angehören. Auch jeder Freidenker und politisch Oppositioneller hätte nicht nur direkt verfolgt werden können – sondern auch gleich sein gesamtes Netzwerk, alle Sympathisanten und Gedankenbrüder. Eine solche Diktatur kann gezielt die Opposition ausschalten – bis zum Tod des Widerstands.

Eine solche Entwicklung ist heute undenkbar? Ein Beispiel, das aktueller nicht sein könnte: Der (erneute) Militärputsch in Ägypten. Nach dem “Arabischen Frühling” im März 2011 ist es in einer schwierigen Übergangsphase zu demokratischen Wahlen gekommen als deren Sieger Mursi hervorging, Führer der Muslimbruderschaft. Er hat seine kurze Amtszeit vornehmlich damit verbracht sukzessive seine eigene Macht und die seiner Partei auszubauen. Ziel: Dem Volk sein eigenen Willen und den Willen seiner Partei aufzudrücken. Es hat sich das Volk jedoch abermals erhoben und das Militär hat daraufhin wieder die Macht übernommen. Besser? Das Militär erhält sich nun die Macht indem es den vorherigen Präsidenten Mursi unter Verschluss hält und zusehends weitere Köpfe der Oppostion ausschaltet.
Jetzt stelle man sich vor, diesem Militär stünden dazu die Prism-Archive zur Verfügung. Es könnten nicht nur die prominenten, nach außen sichtbaren Köpfe der Muslimbrüder rollen. Mit Hilfe von Netzwerkanalysen könnten gezielt alle Knoten-Informationspunkte ausfindig gemacht werden, dazu dessen Freunde und Komparsen. Wer steht im Zentrum der Organisation, wer kooperiert mit Ihnen, in welcher Organisation sind diese Kooperationspartner wiederum? …
Netzwerkanalysen auf Basis der Totalüberwachung aller Kommunikationsdaten in den Händen einer bewaffneten Organisation wie dem Militär, ermöglichen das perfekte Zerstören und die fortschreitende Unterdrückung jeglicher Opposition. Die Dann-Machthaber werden in der Lage sein ein Regime aufzubauen ohne Widerstand. 1984. Ein System der Herrschaft und Kontrolle, der totalen Überwachung. Aus dem Arabischen Frühling würde so ein ganz langer und dunkler Winter werden.

“Nette Beispiele, aber das ist alles so nicht in Deutschland vorstellbar!”

Nein? Ja, vielleicht nicht so – aber anders.

Demokratie ist ein äußerst zerbrechliches Gebilde, dessen Existenz jeden Tag verteidigt werden muss. Und im Kern der Verteidigung liegt die Freiheit der Bürger zu kommunizieren, sich zu äußern, zu informieren und sich aufzuklären. Der lebendige Staat, das politische Gezänk, die Debatten um die Wahrheit, das sind die Pfeiler einer Gesellschaft, sich selbstbewusst zu entwickeln.
Doch, wie gesehen, kann eine Demokratie schnell umkippen. Ist sie einmal gekippt, können wir uns sicher sein, dass jedes daraus hervorgehende totalitäre Regime die Technologie von heute verwenden wird, wenn es diese noch gibt. Deshalb müssen wir heute unsere demokratischen Grundrechte verteidigen und für unser Recht auf freie Kommunikation gerade stehen. Wir dürfen die Totalüberwachung nicht hinnehmen: Sie ist nicht legitimiert, bedroht jeden von uns und schadet nachhaltig aller Demokratie.

Wer heute die Überwachung akzeptiert, zerstört die Opposition von morgen und ermöglicht das Regime von übermorgen. Darin besteht die wirkliche Gefahr der Totalüberwachung.

[1] NSA, GCHQ, DGSE, CSIS, BND oder auch alle zusammen
Gnädig sein die, die glauben das Russland, China, Indien oder alle anderen Länder – wenn sie es nicht schon tun – nicht auch bald mitlesen werden.